Bericht über die Verhinderung der Raketenstellung am Eckersberg bei Kematen in den Jahren von 1967 bis 1971:



Aufregung rund um den Eckersberg

von Peter Willer, Kematen


   Es war die Zeit des "Kalten Krieges". Die beiden damaligen Großmächte UdSSR und USA mit ihren Verbündeten, dem "Warschauer Pakt" einerseits und den NATO-Staaten andererseits, rüsteten immer mehr auf, um den jeweiligen Gegner von einem militärischen Schlag abzuhalten. Es war die Zeit, als studentische Demonstrationen in Gewaltaktionen ausarteten. Es war zu einer Zeit, als Dettendorf noch eine eigenständige Gemeinde mit ca. 750 Wahlberechtigten bildete, deren Einfluss auf die "große" Politik natürlich marginal war.
   Am 15. Februar 1967 wurde eine längere Autokolonne beobachtet, die sich zu einer Ortsbesichtigung auf den Eckersberg bei Kematen, damals Gemeinde Dettendorf, bewegte. Mit dabei waren auch Bundeswehrfahrzeuge. Dem ebenfalls anwesenden Bürgermeister Sebastian Köllmeier wurde Schweigepflicht über das geheime Vorhaben auferlegt. Bei der anschließenden Besprechung äußerte der Bürgermeister seine Bedenken. Erst gut ein Jahr später, im April 1968, erhielt die Gemeinde Dettendorf nähere Unterlagen zur Stellungnahme.
   Zwei Jahre vorher hatte der Münchener Zahnarzt Dr. Leopold Kammerer mit seiner Familie unterhalb des Eckersberges in Kematen ein Haus bezogen. Den bat der Bürgermeister schon kurz nach der Besichtigung um Hilfe. Er solle sich am nächsten Samstag Abend im Gasthaus Beckenlehner in Au einfinden.
   Zum vereinbarten Zeitpunkt fand Dr. Kammerer dort den Bürgermeister und vier weitere Männer vor. Und schon verabschiedete sich Bürgermeister Köllmeier mit den Worten: "... jetzt macht Euch erst einmal bekannt - ihr wisst ja, um was es geht. Ich darf dazu nichts sagen."
   Die vier Männer waren die Bürgermeister der umliegenden Gemeinden, die Köllmeier vorher über die in der Bevölkerung umgehenden Gerüchte informiert hatte.
   Was aber war geplant? Die hellhörig gewordene Bevölkerung hatte natürlich längst erkannt, dass sich der Eckersberg als idealer Standpunkt für eine unterirdische Raketenstellung eignet: Keine klar erkennbare geographische Anhöhe, versteckt hinter dem Irschenberg. Hier sollte nach dem Willen des Verteidigungsministeriums eine Einheit der Bundeswehr mit amerikanischen Flugabwehrraketen vom Typ "Hawk" stationiert werden. Das Raumordnungsverfahren für den Ausbau der Stellung war beim damaligen Landratsamt in Bad Aibling unter Geheimhaltung bereits angelaufen.
   Die Umsicht von Bürgermeister Köllmeier, der seiner Schweigepflicht noch immer nachkam, die "Amtshilfe" seiner Kollegen und die Aufmerksamkeit der Bevölkerung führte letztlich am 17. Juni 1968 - damals der Tag der deutschen Einheit und somit "Nationalfeiertag" - zur Gründung eines Schutzverbandes für den Eckersberg, dem sich sofort die umliegenden Gemeinden Au, Irschenberg, Niklasreuth und Feilnbach-Wiechs - deren Bürgermeister waren damals beim Beckenlehner - anschlossen. Zum Ersten Vorsitzenden wurde Dr. Kammerer gewählt.
   Kurz darauf meldete sich unaufgefordert bereits der Geheimdienst der damaligen DDR mit einem Schreiben, in dem die Planungen des Verteidigungsministeriums bestätigt wurden.
   Die Kontaktaufnahme mit den Grundbesitzern und den Bauern der näheren und auch weiteren Umgebung und deren Information wurde zur Aufgabe des Zweiten Vorsitzenden, Marinus Hormaier, Landwirt aus Sonnenham.
   Obwohl offiziell noch immer nicht bekannt war, was auf dem Eckersberg geplant wurde, hatte Dr. Kammerer sofort und ausschließlich mit Fakten die Behörden vom Wasserwirtschaftsamt über das geologische Landesamt, die politischen Verantwortungsträger von den Landräten der umliegenden Kreise bis hin zur bayerischen Staatsregierung, sogar den bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß und natürlich die Bevölkerung weitum gegen das erwartete Vorhaben der Militärs sensibilisiert und auf die Seite des Schutzverbandes gebracht. Insgesamt waren das etwa 115.000 Wahlberechtigte!
   Am 4. August 1968 fand in Kematen eine groß angelegte Protestveranstaltung mit etwa 2.000 Besuchern statt, deren friedlicher Verlauf den regionalen Befürwortern der Raketenstellung wohl den Wind aus den Segeln genommen hat. In einer Zeit der durch Presseberichte hervorgehobenen provokant-militanten Aktionen gegen den Staat war die nüchtern-realistische Vorgehensweise, die Dr. Kammerer dem Schutzverband verordnet hatte, nicht erwartet worden. Um für die anreisenden Gäste auf die Größe des gefährdeten Gebiets sichtbar zu machen, hatte der Landwirt Hans Hofer auf dem Eckersberg ein Feuer aus einer Wagenladung alter Autoreifen entzündet.
   Mit diesen Schachzügen konnten die anwesenden politischen "Wahlbeamten" auf regionaler und landesweiter Ebene nur noch für die Sache reden und waren so von oben nicht mehr dirigierbar und auch der politisch wohlgesonnenen Presse war damit die Basis für eine Befürwortung des Projekts entzogen.
   Einer Einladung vom zuständigen Wehrbereichspräsidenten zur Besichtigung einer bereits bestehenden Raketenstellung folgte Dr. Kammerer, der inzwischen seine Praxis vorübergehend geschlossen hatte, schon als ziviler Raketenspezialist. Die spöttische Begrüßung des Militärs - "Sie sind also der Wanderprediger vom Eckersberg" - erwiderte der immer Höfliche am Ende des Termins mit der Überzeugung: "..., dass so was nie und nimmer auf dem Eckerberg entstehen dürfe."
   Zusammen mit dem ebenfalls in der Vorstandschaft wirkenden Feilnbacher Hotelier Reese nahm Dr. Kammerer zuletzt einen Termin beim Verteidigungsministerium wahr. Während des Gesprächs spielte er einen möglichen Fliegerangriff des Warschauer Pakts von Süden durch. Er erklärte: Mit der ersten Erkennung der Flugzeuge nach Überfliegen des in Luftlinie nur sechs Kilometer entfernten Wendelstein ist ein Abschuss nicht mehr möglich, weil nur Objekte mit einer Ersterkennung in mindestens zwölf Kilometer bekämpfbar sind. Die hochnäsige Antwort der Militärs: "Wir erwarten einen Angriff grundsätzlich nur von Osten" kommentierte Dr. Kammerer mit dem jüngst erlebten Krieg zwischen Israel und Ägypten: Dort hatten die Ägypter einen direkten Angriff der israelitischen Luftwaffe erwartet. Diese aber flogen in weitem Bogen von Westen her ein und überraschten so die falsch ausgerichtete Luftabwehr. Die sowjetische Mittelmeerflotte sei nicht zu unterschätzen ...
   Obwohl noch immer keine Entscheidung gefallen war, konnte Bürgermeister Köllmeier - jetzt endlich ohne "Maulkorb" - bei einer letzten Veranstaltung des Schutzverbandes im Dezember 1969 in Bad Aibling die Chronologie der Vorgänge um den Eckersberg aufzeigen und seinen Dank an alle Beteiligten ausdrücken. Er und sein Gemeinderat waren so überzeugt vom Erfolg der Arbeit des Schutzverbandes, dass er bei dieser Gelegenheit die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Dr. Kammerer verkündete. Später wurde diese beim Zusammenschluss mit der Gemeinde Feilnbach in Würdigung seines Einsatzes natürlich übernommen.
   Erst im März 1971 erfolgte die endgültige offizielle Entwarnung.
   Dr. Kammerer wohnt heute in Feilnbach, geht aber seinem Hobby als bekannter Schriftsteller und Münchner Turmschreiber noch immer in seinem Haus in Kematen nach.
   Die eigentlich für den Eckersberg geplante Raketenstellung wurde schließlich rund 15 km entfernt in Lampferding, ebenfalls Altgemeinde Dettendorf (*) aber bei Tuntenhausen, ausgebaut. Es kann nur spekuliert werden, ob die Verantwortlichen die hohe Politik mit den identischen Ortsnamen zum Überlesen der "Lageveränderung" getäuscht haben. Versorgt und bedient wurde die neue Stellung zunächst per Hubschrauber von einer Flugabwehreinheit aus Lenggries. Später baute man dieser wegen ihrer Trefferquote bei den jährlichen Schießen auf Kreta in ganz Europa bekannten Batterie eine eigene kleine Kaserne in Bad Aibling.
   Heute ist die Stellung Lampferding, die Kaserne in Bad Aibling und auch die in Lenggries Geschichte: Der "Kalte Krieg" ist zu Ende, eine Flugabwehrstellung nicht mehr sinnvoll.
   Die Zerstörung des landschaftlich erhaltenswerten Eckersberges und die potentielle Gefährdung der Bevölkerung in weitem Kreis wurde in erster Linie durch das besonnene Vorgehen von Herrn Dr. Kammerer, der Vorstandschaft des Schutzverbandes und nicht zuletzt durch die Grundbesitzer, die einen Verkauf nie in Erwägung gezogen haben, verhindert.


Entnommen aus dem "Moorspiegel" (Ausgabe Mai 2004) mit der freundlichen Genehmigung von Sepp Höfer, Kur- und Gästeinformation Bad Feilnbach.

(*) Anmerkung vom Webmaster: Die sog. Altgemeinde hieß "Lampferding", nicht Dettendorf.



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